Kritik erleben wir in vielen Variationen: ausdrücklich oder nonverbal, verletzend oder konstruktiv, unberechtigt oder zutreffend, unverschämt oder höflich, niederschmetternd oder aufbauend, verhalten oder offen, taktisch oder ehrlich, erwartet oder wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Die Kritik ist vielgestaltig. Und unsere Reaktion auf sie? Ist sie auch so differenziert?

Oft nicht. Oft reagieren wir automatisch, schablonenhaft und so rasend schnell, dass unsre Gefühle schon im Keller und unser Gegenangriff schon stattgefunden haben, noch bevor unser Großhirn überhaupt eine Chance gehabt hat, mitzureden. Und wie’s dann manchmal weitergeht, ist uns auch vertraut.

Dabei könnte gerade kritisches Feedback nützlich für uns sein, allerdings nur, wenn wir es angemessen verarbeiten, d.h. mit Beteiligung unseres Großhirns. Wenn Sie ihm also in „kritischen“ Situationen mehr Einfluss verschaffen wollen, lade ich sie ein, sich und ihre „kritischen“ Automatismen etwas besser kennen zu lernen. Denn „bewusste“ Automatismen funktionieren nur halb so gut oder gar nicht mehr. Hier ein paar Tipps für eine achtsame Selbsterforschung und einen liebevollen Umgang mit sich:

  • Wenn Sie kritisiert worden sind, nehmen Sie sich danach etwas Zeit für sich an einem unbeobachteten und ungestörten Ort und vergegenwärtigen Sie sich die Kritik, die Situation, die anwesenden Personen und ihre Reaktion auf die Kritik.
  • Machen Sie einen Realitätscheck. Ist die Kritik berechtigt? Haben Sie tatsächlich Fehler gemacht? Sind die hinter der Kritik stehenden Ansprüche angemessen und erfüllbar? Oft hilft es, die Fragen auch aus der Perspektive anderer, z. B. eines Kollegen oder einer Freundin zu beantworten. Übrigens, es ist nicht entscheidend, ein eindeutiges Ergebnis zu bekommen. Unklarheit ist auch in Ordnung.
  • Achten Sie darauf, welche Gedanken durch die Kritik ausgelöst werden. Versuchen Sie diese nur bewusst wahrzunehmen und nicht zu bewerten. Vor allem kritisieren Sie sich nicht noch selbst für Ihre Gedanken, wenn Sie z. B. denken, dass Sie versagt haben, Ihr Gesicht verloren haben oder dass der Kritiker selbst ein großes A… ist und kein Recht hat, so mit Ihnen umzuspringen.
  • Achten Sie darauf, welche Gefühle durch die Kritik ausgelöst werden. Wenn Sie sich nicht sicher sind, was sie eigentlich fühlen, versuchen Sie Ihrer Stimmungslage einen Namen zu geben, z. B. gereizt, verärgert, demotiviert, unglücklich, auf Rache aus. Versuchen Sie Ihre Gefühle genauso wie Ihre Gedanken so wertneutral wie möglich wahrzunehmen, auch wenn sie unangenehm sind, wie zum Beispiel Demütigung, Scham, Wut oder Aggression. Erlauben Sie sich, so zu fühlen, wie sie fühlen. So ist es nun mal.
  • Seien Sie freundlich zu sich. Es reicht, dass Sie die Folgen der Kritik und ihrer spontanen Reaktionen tragen müssen. Sie brauchen sich nicht noch zusätzlich zu verurteilen oder mit sich zu hadern. Vor allem wenn die Kritik richtig wehgetan hat, nehmen Sie sich im Geiste in die Arme und trösten Sie sich. Sprechen Sie sich gut zu, auch wenn es Ihnen komisch vorkommt oder schwerfällt. Versuchen Sie, nett zu sich zu sein. Das ist der wichtigste Teil der ganzen Übung.

Wenn’s Ihnen geht wie den meisten, wird es auch in Ihrem privaten oder beruflichen Alltag genug Gelegenheiten geben, diese Selbsterforschung zu üben. Üben Sie und Ihr „kritischer“ Automatismus“ wird sich verändern. Ihr Großhirn wird mehr Gestaltungsspielraum bekommen.

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