Vorwürfe machen

von | Mai 13, 2015 | Selbstreflexion, Umgang mit anderen, Umgang mit Unangenehmem

Ja, wir wissen es: Vorwürfe helfen nicht. Kritik muss konstruktiv sein, damit sie überhaupt wirken kann. Zuerst positives betonen, dann objektive Tatsachen anführen, nicht die Person verletzen usw. usw. Klar. Wissen wir. Ist verstanden. Alles ok?

Nichts ist ok! Im wirklichen Leben sieht es doch ganz anders aus. Wenn wir uns über jemand ärgern oder wütend sind, werfen wir vor und sind kilometerweit von einer konstruktiven Kritik weg. Wir schreien, schlagen drauf, verletzen und lassen kein gutes Haar an unserm Gegenüber oder wir vermeiden die Konfrontation und werfen – nicht weniger destruktiv – im Stillen vor, grollen, hadern, schwärzen an und sinnen auf Rache.

Natürlich kommen wir weder so noch so unseren eigentlichen Zielen näher. Wir wollen doch, dass wir gesehen, ernst genommen und unsere Grenzen respektiert werden, dass Vereinbartes eingehalten oder Geben und Nehmen neu verhandelt werden. Dummerweise ist der Weg vom destruktiven Vorwurf zur konstruktiven Kritik nur auf dem Papier klein. Da reichen ein paar Sätze. Aber in Wirklichkeit ist er groß. Da reicht manchmal ein ganzes Leben nicht.

So ist das eben. Und warum? Weil unser Gefühlshaushalt deutlich größeren Einfluss auf unser Verhalten hat, als die nackte Erkenntnis aus guten Seminaren oder schlauen Büchern. Es hilft nichts. Wollen wir unsern Zielen näherkommen, müssen wir wohl bei unsern Gefühlen anfangen und sie zuerst etwas besänftigen. Hier ein paar Tipps, wie Sie das mit etwas liebevoller Achtsamkeit tun können und den Weg zu konstruktiver Kritik ebnen können. Also wenn Ihnen noch mal etwas passiert, das bei Ihnen Vorwürfe auslöst, dann probieren Sie doch mal diese Achtsamkeitsübung aus – am besten bevor Sie handeln:

  • Das wichtigste zuerst: Seien Sie freundlich zu sich. Auch wenn Ihnen Ihre Gefühle (Wut, Angst) und Verhaltensimpulse (Fliehen, Kämpfen) nicht gefallen, sie sind da und es gibt gute Gründe für sie. Ihr Bedrohungssystem ist angesprungen. Es sorgt dafür, dass wir Gefahren oder Schmerzen vermeiden oder ihre Quelle auslöschen wollen. Das geht alles so schnell, dass Ihre Gedanken immer zu spät kommen. Also kritisieren Sie sich nicht dafür, dass Sie ein genetisch verankertes uraltes Erbe mit sich rumtragen für das sie nichts können.
  • Und nun das zweitwichtigste: Seien Sie freundlich zu sich. Hinter jedem Impuls vorzuwerfen, stecken Schmerzen, Wunden und Verletzungen. Oft nehmen wir sie gar nicht wahr. Aber an der Stärke Ihres Impulses können Sie ablesen wie groß sie sind. Jeder Anlass zum Vorwurf ist deshalb auch ein Anlass, sich die Verletzungen bewusst zu machen, freundlich zu sich zu sein, sich „die Wunden zu lecken“ und sich sanft und freundlich zuzureden, zu trösten, sich innerlich in den Arm zu nehmen und aufzumuntern.
  • Wenden Sie sich jetzt innerlich Ihrem Gegenpart zu. Versuchen Sie, so gut es geht, Ihren Gegenpart nicht nur als Angreifer, sondern als Mensch zu sehen, der vielleicht auch verletzt ist – wie Sie, sein Leben zu meistern versucht – wie Sie, mit Rückschlägen, Krankheit, Unglück und Verlust zurechtkommen muss – wie Sie und der gesund und glücklich leben und seine Ziele erreichen will – wie Sie. Und vielleicht gelingt es Ihnen, etwas versöhnlicher zu werden – trotz allem, was er bei Ihnen ausgelöst hat.
  • Achten Sie jetzt darauf, ob sich Ihre Gefühle verändert haben. Vielleicht haben sich Wut, Ärger und Aggression auf Ihr Gegenüber etwas gemildert. Auf jeden Fall denken Sie erst jetzt darüber nach, was Sie eigentlich von Ihrem Gegenpart wollen, wie eine konstruktive Kritik aussehen könnte und was, wie und wann Sie ihm etwas sagen.

Zugegeben, keine einfache Übung, die vielleicht auch nur wenig bei Ihnen verändert. Auf dem Weg vom Vorwurf zur konstruktiven Kritik kommt man manchmal nur sehr langsam voran. Deshalb überfordern Sie sich nicht. Wenn’s um Gefühle geht, ist ein kleiner Schritt schon groß.

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