Widerspruch

von | Jun 9, 2017 | Selbstreflexion, Umgang mit anderen

Wie finden Sie dieses Märchen: Ihre Meinungen werden von allen geteilt. Ihr Tun wird ohne Abstriche geschätzt? Ihre Ansprüche werden ohne Einwand akzeptiert. Ihr Verhalten stößt überall auf Zustimmung. Sie leben in einem sozialen Schlaraffenland. Verlockend, oder?
Doch das Märchen hat einen Haken. Ausnahmslose Zustimmungen verlieren Ihren Wert. Sie bieten keinen Anlass zur Freude. Und wie langweilig müsste ein Zusammenleben sein, das nur das Echo der eigenen Stimme kennt, keine Mehrstimmigkeit, keine Dissonanzen, an denen unsere Kunstfertigkeit im Miteinander wachsen oder sich beweisen könnte.

Aber es ist ja nur ein Märchen. In unserem Leben können wir uns über herausfordernden Widerspruch nicht beklagen. Aber angesichts des Märchens können wir die Dissonanzen in unseren Beziehungen vielleicht positiver sehen, zum Beispiel als Anlass, uns selbst und die Beziehung weiterzuentwickeln und „zum Klingen“ zu bringen.

Das geht allerdings nur, wenn wir bei der Auflösung des Widerspruchs einfache Lösungen vermeiden. Die eine einfache Lösungsvariante ist, unsere eigenen Ansprüche, Interessen, Überzeugungen sofort aufzugeben, sobald ihnen widersprochen wird, manchmal sogar schon vorher. Die andere Variante ist, sie ohne Rücksicht durchzusetzen und die Interessen der anderen zu ignorieren. Diese einfachen Lösungen sind nicht automatisch schlecht und manchmal auch angemessen. Aber sie können Beziehungen vergiften und „eintönig“ machen und mancher Widerspruch braucht kreativere Lösungen, die beiden Stimmen gerecht werden. Hier eine Achtsamkeitsübung, wenn Sie mit einem Widerspruch kämpfen, den Sie gerne aus der Welt schaffen würden:

  • Nehmen Sie sich ein paar Minuten Zeit, um sich den Widerspruch „im stillen Kämmerlein“ anzuschauen. Atmen Sie mehrere Male bewusst ein und aus. Spüren Sie, wie sich Ihre Bauchdecke beim Atmen hebt und senkt, bis Sie ruhiger werden.
  • Nehmen Sie dann die eigene Seite des Widerspruchs zur Kenntnis: Was will ich eigentlich? Was ist eigentlich mein Interesse, mein Anspruch, meine Überzeugung? Versuchen Sie Ihre Position einfach als solche wahrzunehmen, interessiert, neugierig, möglichst ohne positive oder negative Bewertung und ohne daran zu denken, ob und wie sie sie vertreten haben oder vertreten wollen.
  • Richten Sie dann ihre Aufmerksamkeit auf die Position Ihres Gegenübers. Was beansprucht es, was will es. Versuchen Sie sein Interesse, seine Ansprüche so gleichmütig wie möglich zur Kenntnis zu nehmen, ohne eventuell aufsteigenden Gefühlen, wie Ärger oder Ohnmacht zu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Vielleicht tauchen auch Ideen zu den Hintergründen seiner Position auf, z. B. Angst, Wut, Machtinteressen, Loyalität zu anderen, was nichts mit Ihnen zu tun hat.
  • Wenden Sie sich zum Schluss dem Widerspruch zwischen Ihrer Position und der Ihres Gegenübers zu. Versuchen Sie dem Widerspruch Raum zu lassen und dem Impuls zu widerstehen, ihn möglichst schnell aus der Welt zu schaffen, z. B. durch eine der oben skizzierten einfachen Lösungen. Versuchen Sie es auszuhalten, dass der Widerspruch da ist und im Moment auch nicht gelöst ist und suchen Sie auch nicht gezielt nach einer Lösung. Je mehr Ihnen das gelingt, umso eher schaffen Sie einen Raum, in dem ihr Hirn ohne Ihr Zutun vielleicht andere, neue Lösungen findet.

Natürlich gibt es keine Garantie, dass die Übung zu einem neuen Lösungsansatz führt. Aber die Chancen steigen, je mehr Sie dem Widerspruch Bleiberecht gewähren. Denn Kreativität ist ein anspruchsvoller Gast, der schnell das Weite sucht, wenn es ihm zu eng wird.

Ich wünsche Ihnen viel Resonanz in Ihrem Leben.

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