Kleine Flucht oder Sucht

von | Mai 9, 2017 | Selbstreflexion, Umgang mit sich

Sind Sie süchtig? Trinken Sie noch oder saufen Sie schon? Essen Sie noch oder schaufeln sie schon? Oder was tun Sie, um runterzukommen, etwas Spaß zu haben, sich zu belohnen, die Sorgen zu vergessen, den Alltag erträglicher zu machen: Surfen, Spielen, Schwatzen, Sport, Sex, Shoppen …?

Das Angebot ist groß, die Bedürftigkeit ebenso. Wenn der Stresspegel steigt, und er steigt flächendeckend, vergessen wir als erstes uns selbst. Uns bleiben dann nur noch kleine Fluchten, schnell erreichbare Genuss- und Erholungsinseln im Alltag. Ist das zu wenig zum Ausspannen und Regenerieren, sind wir schnell versucht, stärkeres Benzin zu tanken, um uns die überhöhte Geschwindigkeit doch abzutrotzen: Wir dopen uns, um noch zu können. Wir betäuben uns, um mehr auszuhalten. Und schneller als uns lieb ist, werden Doping und Rausch zur ungesunden Gewohnheit, mit der wir dann irgendwann an die Wand fahren.

So weit, so schlecht. Doch glücklicherweise sind die Teufelskreise im wirklichen Leben nicht immer so teuflisch. Das Leben sorgt selbst für Ausstiegschancen: eine Krankheit bremst uns aus, eine neue Beziehung gibt uns Kraft, eine Umstrukturierung mischt die Karten neu, ein Neugeborenes wirbelt die Prioritäten durcheinander usw. Oder aber wir lernen, uns selbst und unsere Süchte ernster zu nehmen, uns ihnen freundlich anzunähern und sie zu verstehen. Hier ein paar Achtsamkeitstipps für einen ersten Schritt dazu.

  • Wenn Sie den Impuls bemerken, etwas zu tun, was Ihnen eigentlich nicht gut tut, aber Sie vielleicht kurzfristig entlastet, versuchen Sie innezuhalten. Atmen Sie tief durch und achten Sie darauf, wie Sie sich im Moment fühlen und was Sie gerade denken. Entscheiden Sie sich dann bewusst, dem Impuls zu folgen oder vielleicht fällt Ihnen auch etwas anderes ein. Manchmal reicht ein Innehalten, um realisierbare Alternativen überhaupt zu erkennen und in Erwägung zu ziehen.
  • Wenn Sie sich entscheiden, dem Impuls zu folgen, tun Sie es, so gut es geht, ohne Selbstvorwürfe. Versuchen Sie stattdessen Verständnis und Mitgefühl für sich aufzubringen. Sie tun etwas, weil es Ihnen nicht gut geht, weil Ihnen etwas fehlt, wonach Sie sich sehnen. Und diese Sehnsucht wird umso größer, je belasteter, unzufriedener oder ungeliebter Sie sich fühlen. Und vergessen Sie nicht: Sie sind nicht allein. Viel mehr Menschen, als Sie glauben, geht es genauso wie Ihnen.
  • Wenn Sie etwas tun, was Ihnen eigentlich schadet, aber im Moment Spaß macht, dann erlauben Sie sich, es wenigstens bewusst zu genießen. Schaden tut es ja ohnehin. Deshalb bleiben Sie achtsam bei dem, was Sie tun, egal ob sie zu viel trinken, zu viel essen, rauchen oder anderes tun. Vielleicht stellen Sie sogar fest, dass Sie früher aufhören können, weil Sie besser wahrnehmen, wenn es keinen Spaß mehr macht oder sich sogar Widerwille einstellt.
  • Und wenn Sie nach dem Ausagieren Ihrer kleinen oder großen Süchte mit Selbstvorwürfen, Gewissensbissen und den gewohnten halt- und wertlosen Vorsätzen reagieren („Morgen höre ich endgültig auf!“), versuchen Sie auch dieses mentale Strohfeuer bewusst und gleichmütig wahrzunehmen und über sich ergehen zu lassen, ohne eine Problem daraus zu machen. Vielleicht gelingt es Ihnen auf Dauer, seine Nutzlosigkeit und Überflüssigkeit zu erkennen. Denn der Weg aus dem Teufelskreis ist nicht mit Moral sondern mit Liebe gepflastert.

Sehnen und Sucht gehören zusammen und Sehnsucht gehört zum Leben. Also alles normal und kein Drama. Aber wenn das Sehnen schon lange keine Rolle mehr spielt, weil die Sucht das Leben dominiert, ist es Zeit sich Hilfe zu suchen.

Ich wünsche Ihnen viel gestillte Sehnsucht.

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