Nicht immer sind wir mit dem Verhalten anderer einverstanden. Ihre Meinung und ihre Reaktionen lösen bei uns Unverständnis (hä?), Abwertung (idiotisch), Ablehnung (so nicht!), Ärger und Wut (geht’s noch) aus, egal ob es um politische Meinungen, die Ablehnung anstehender Projekte, das Miesmachen von Kolleginnen und Kollegen oder einfach nur um „verbale Inkontinenz“ mit ausufernder Selbstdarstellung geht. Es ist schwer, mit solchen Menschen umzugehen ohne Porzellan zu zerschlagen und sich in erfolglose Meinungs- und Machtkämpfe zu verstricken. Also schlucken wir Ärger und Langeweile herunter und strengen uns an, eine freundliche Fassade zu behalten. Gehören solche Menschen zu unserem privaten oder beruflichen Kontext, den wir nicht einfach verlassen können, haben sie die Macht, unsere Stimmung umso mehr zu vermiesen, je häufiger wir mit ihnen zu tun haben und je ohnmächtiger wir uns ihnen gegenüber fühlen.
Auch im Zwischenmenschlichen ist die Botschaft von Achtsamkeit immer die gleiche: sich der gegenwärtigen Realität so annehmend wie möglich zuzuwenden, auch wenn sie unangenehm ist. Unser Beispiel zeigt, wie schwer und herausfordernd das sein kann. Aber in der Regel lohnt sich die achtsame Zuwendung. Entweder wir lernen, unsere innere Erregung und Anstrengung zu reduzieren, weil wir die anderen mehr so lassen, wie sie sind, wenn wir das, was sie sagen oder tun nicht mehr so persönlich nehmen. Oder wir wenden uns ihnen tatsächlich interessierter und unvoreingenommener zu, beenden dadurch unsere Ohnmacht und entdecken vielleicht neue Beziehungsmöglichkeiten oder verändern im Idealfall auch das Verhalten des Gegenübers. Vielleicht motiviert Sie das, den folgenden Übungsimpuls mal auszuprobieren, wenn Ihnen beim nächsten Mal jemand auf Nerven geht.
- Machen sie sich als erstes bewusst, am besten schon im Vorfeld, wie Sie üblicherweise gedanklich, emotional und verhaltensmäßig auf die Person reagieren und gestehen Sie sich Ihre Reaktionen zu. Sie reagieren ja nicht so, weil Sie sich das Leben absichtlich schwermachen möchten, sondern weil Ihnen nichts anderes einfällt. Vielleicht haben Sie ja auch schon verschiedenes erfolglos ausprobiert. Machen Sie sich dann bewusst, dass das Verhalten des Gegenübers wenig mit Ihnen und viel mit ihm zu tun hat. Oft ist es nur Ausdruck seiner sozialen Schwierigkeiten.
- Sie können sich auf zwei verschiedene Arten Ihrem Trainingspartner zuwenden. Sie können das Gespräch durch Fragen auf andere Themen lenken oder in die Tiefe gehen. Hier ein paar Hinweise zur ersten Option: Wir alle haben unzählige Facetten. Auch Ihr Gegenüber. Wir sind Angestellte, Eltern, Kinder, Fußballer, Hobbykochs, Astrologie-interessierte, Sonderangebotsabhängige oder stolz auf unsere Fußpilzresistenz. Meistens wird unser Bild von jemand nur durch ganz wenige Facetten, manchmal nur durch eine einzige festgelegt. Lassen Sie sich deshalb von Ihrer Neugier leiten und aktivieren Sie Ihre Kreativität oder Phantasie. Je echter Ihr Interesse ist, desto ehrlicher sind die Antworten. Meistens gibt es überraschendes, Unterwartetes und manchmal entdecken Sie sogar verbindende Gemeinsamkeiten.
- Die zweite Möglichkeit, den Gesprächsverlauf durch Fragen zu beeinflussen, ist es nach den Motiven, Hintergründen und dem persönlichen Erfahrungskontext von Aussagen zu fragen: Was ist so wichtig an x? Was wollen Sie mit x erreichen? Was befürchten Sie bei x? Welche Erfahrungen haben Sie selbst schon mit x gemacht? Welche Gefühle löst x bei ihnen aus? Vielleicht führen Sie die Fragen und Antworten zu mehr Verständnis für Ihr Gegenüber und vielleicht entdecken Sie auch Gemeinsamkeiten im Erleben. Solange Sie im Fragemodus bleiben und die Antworten nicht auf sich beziehen, ist es einfacher, sich nicht von Ihrer eigenen Meinung zum Widerspruch verleiten zu lassen. Dieser endet nämlich leicht in einem Rechtfertigungsduell. Damit endet auch Ihre Expedition in unerforschte Gebiete.
- Wichtig ist, dass Sie sich nicht zu viel von solchen Expeditionen versprechen oder ein bestimmtes Ergebnis erwarten. Expeditionen sind spannend, gerade weil ihr Ausgang offen ist. Jede Frage von Ihnen kann verschließen statt zu öffnen und kann Ablehnung, Ärger und Angst hervorrufen. Und jede Antwort Ihres Gegenübers kann Ihre eigenen emotionalen Wellen hochschlagen lassen. Gestehen Sie sich deshalb jederzeit zu, die Expedition abzubrechen, ohne Selbstkritik, weil Sie vielleicht eine Frage zu viel oder falsch gestellt haben oder weil Sie sich nicht mehr im Zaum halten können. Anerkennen Sie sich dafür, dass Sie es überhaupt versucht haben.
Ich wünsche Ihnen interessante und beziehungsfördernde Expeditionen.
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