Oft wissen wir gar nicht, wie gut es uns tut, wenn es keine Schwierigkeiten, Reibereien oder Auseinandersetzungen im Miteinander gibt. Allein die Abwesenheit solcher Stimmungsbelastungen ist deshalb schon Anlass genug, sich zu freuen. Es könnte im nächsten Moment schon anders sein. Denn zum Zwischenmenschlichen gehören Ärger, Verletzungen und Enttäuschungen einfach dazu. Sie lassen sich auch mit bestem Willen und größter Rücksicht nicht vermeiden. Aber wir können etwas dafür tun, dass sie sich nicht über Gebühr aufblähen, was sie gerne mal tun: Nämlich nachdenken.
Im Kontext von Achtsamkeit haben Gedanken einen schlechten Ruf. Geht es doch oft darum, mit Meditation den Geist zu beruhigen, das nutzlose und nervtötende Gedankenkarussell oder den To-do-Listen-Terror zu stoppen. Das ist die eine Seite unserer Gedanken, die belastende. Es gibt auch eine entlastende. Sie können uns nämlich helfen, hinderliche Gewohnheiten oder Reaktionsmuster zu entschärfen und emotionale Übertreibungen schrumpfen zu lassen. Vor allem im Zwischenmenschlichen kann uns Nachdenken helfen, verletzende oder ärgerliche Reaktionen von anderen etwas weniger persönlich zu nehmen und die Dinge etwas objektiver zu sehen. Denn oft hat das Verhalten anderer, das uns ärgert oder verletzt, wenig mit uns und viel mit den anderen zu tun. Das zu erwägen, ist nicht nur schmerzlindernd, sondern oft genug auch näher an der Wahrheit.
- Die folgende Übung können Sie jederzeit machen, wenn Sie merken, dass Ihnen Vorgesetzte, Partner, Kinder, Freunde oder Bekannte auf die Füße getreten sind. Ein kleiner Abstand zum Ereignis ist meistens hilfreich, weil die Zeit die emotionalen Wogen glättet, was ein produktives Nach-Denken genauso fördert, wie ein gewisses Maß an Entspannung, wofür oft schon ein paar bewusste Atemzüge reichen.
- Der erste Schritt in diesem Denkprozess ist, ohne Wenn und Aber anzuerkennen, dass Sie sich verletzt gefühlt oder sich geärgert haben oder sogar wütend geworden sind und die Emotionen vielleicht immer noch fühlen. Die emotionale Intensität Ihrer Reaktion zeigt nur, wie stark Sie getroffen sind. Gestehen Sie sich Ihre emotionalen Reaktionen zu. Sie sind ok. Je besser Ihnen dieser Schritt gelingt, umso weniger müssen Sie Ihre Reaktionen vor sich verteidigen oder rechtfertigen und umso eher sind sie bereit, nachzudenken und neue Sichten zuzulassen. Solange wir nach Bestätigung für unsere Reaktionen und Gefühle suchen, werden wir andere Sichten kaum zulassen. Im nächsten Schritt werden Sie schnell merken, ob die Zeit für diesen Schritt schon ausgereicht hat.
- Stellen Sie sich nun die Person vor, die Sie geärgert oder verletzt hat. Und beginnen Sie damit, darüber zu spekulieren, was der Auslöser oder der Grund für das Verhalten der anderen Person sein könnte, wenn es nichts mit Ihnen selbst zu tun hat. Aktivieren Sie Ihre Phantasie und folgen Sie auch spontanen Ideen, egal wie hanebüchen sie scheinen. Lachen ist nicht der schlechteste Impuls. Ziel des Nachdenkens ist ja nicht, die Wahrheit der Person zu entdecken, was sowieso nicht geht, sondern sich aus dem eigenen Tunnelblick zu befreien. Wenn Sie ernst bleiben möchten, hier ein paar Tipps: Versetzen Sie sich, so gut das geht, in die Rolle, Persönlichkeit oder Absichten dieser Person. Mit welchen Hindernissen kämpft sie? Welche Bedürfnisse, vor allem welche Schutzbedürfnisse könnten hinter dem Verhalten stecken? Wie hoch ist der Stresspegel? Denn wir alle wissen: Je größer der Stress desto mehr schlagen wir um uns, projizieren eigene Probleme auf andere, werden ungerecht, wütend und sagen Dinge, die wir hinterher bereuen.
- Falls Sie auch nach der Denkübung zum Ergebnis kommen, dass es Ihnen wichtig ist, der anderen Person mitzuteilen, wie betroffen sie waren und was Sie sich in Zukunft von ihr wünschen, dann nutzen Sie auch wieder Ihr Denkvermögen. Denken Sie darüber nach, wie Sie das gegenüber der anderen Person ausdrücken können, so dass ihr Anliegen eine Chance bekommt, gehört zu werden und die Eskalationsschraube nicht einfach weitergedreht wird.
Ich wünsche Ihnen ein produktives Nachdenken, das besänftigt und weiterführt.
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