Nicht mein Puzzle

von | Mai 13, 2024 | Arbeitskontext, Umgang mit anderen, Umgang mit sich

Kennen sie das? Sie kommen in eine fremde Wohnung, sehen ein halbfertiges Puzzle und schon zucken die Finger und wollen ein Stück weiterhelfen. So geht es uns manchmal auch im Leben. Wir sehen ein Problem bei anderen und schon sind wir dabei zu helfen. Ein freundlicher, fürsorglicher und verbindender Zug von uns, so hilfsbereit zu sein. Oder? Manchmal schon. Doch der Zug kann auch rückwärtsfahren, vor allem wenn wir zu professionellen Nothelfern mutieren. Die werden immer gefragt, wenn’s eng wird. Und sie helfen auch immer, manchmal auch dann, wenn sie gar nicht gefragt werden und Hilfe weder notwendig, gewollt noch sinnvoll ist. Spätestens dann wird Hilfe zum Hindernis nicht nur für die, denen man hilft, sondern auch für einen selbst.

Denn je automatischer wir helfen, desto weniger ist unsere Hilfe altruistisch, weil sie mehr mit uns als mit den anderen zu tun hat. Immerhin können wir beim Helfen glänzen, Kompetenz zeigen, Dank bekommen und mitfühlend erscheinen. Das genügt allemal, uns zu korrumpieren. Nein‘s, die für unser Wohlergehen so wichtig wären, kommen dann nicht mehr über unsere Lippen und unsere eigenen Probleme sind dann weniger aufsässig. Denn als Gutmensch haben wir wenig Platz für sie. Das ist bequem. Denn die Lösung der eigenen Probleme ist viel schwerer, liegt sie doch oft außerhalb unserer Komfortzone oder erfordert unangenehme Veränderungen. Doch es hilft nichts. Der prominenteste und schwierigste Job unserer Lebensführung ist es, unsere eigenen Probleme zu lösen. Lassen wir uns davon zu sehr ablenken, setzen wir unsere Zufriedenheit und unsere Gesundheit aufs Spiel. Ein Königsweg in den Burnout führt über den Gutmenschen.

Hier ein paar Fragen zur achtsamen „Gewissenserforschung“, wenn sie den spontanen Impuls bemerken, helfen zu wollen.

  • Nicht mein Puzzle: Beginnen Sie die „Gewissenserforschung“ damit, dass Sie sich bewusst machen, dass Sie anderen helfen möchten, egal aus welchen Gründen, z.B. aus Mitgefühl, eigenen Interessen oder einer Mischung aus beidem. Wichtig ist, es geht nicht um ein Problem von Ihnen. Es ist nicht ihr Puzzle, in das Sie eingreifen.
  • Ist Ihre Hilfe wirklich hilfreich? Machen Sie andere durch Ihre Hilfe kleiner oder schwächer als sie wirklich sind? Nehmen Sie ihnen vielleicht die Chance, eigene Lösungen zu finden, dazuzulernen und zu wachsen?
  • Können Sie überhaupt helfen? Bei vielen Problemen können wir von außen nicht wirklich helfen. Das ernst zu nehmen und auszuhalten, ist die viel größere Herausforderung als sich in wirkungslose Hilfsaktionen zu stürzen. Zudem kann ein Bekenntnis Ihrer Ohnmacht auch für die anderen ein starker, hilfreicher Impuls sein.
  • Verschleiert Ihre Hilfe das eigentliche Problem? In Arbeitskontexten kann die kollegiale Hilfe, so wichtig und sinnvoll sie grundsätzlich ist, manchmal die eigentlichen Probleme verdecken, z.B. eine systematische Arbeitsüberlastung oder ungeeignete Prozesse. Die Frage ist, verhindert oder erschwert Ihre Hilfe notwendige, grundsätzliche Veränderungen.
  • Wie belastend ist es für sie selbst zu helfen? Wirkliche Hilfe ist oft genug anstrengend und zeitintensiv. Geht eine solche Hilfe über Ihre Grenzen hinaus? Helfen Sie nur, weil Sie es nicht schaffen, nein zu sagen? Was riskieren Sie mit einem Nein? Was riskieren Sie, wenn sie das Nein nicht sagen?
  • Von welchen eigenen Problemen lenkt ihre Hilfe ab? Oft wissen oder ahnen wir, um welche eigenen Probleme wir uns eigentlich kümmern müssten, wofür wir unsere Lebensenergie einsetzen müssten. Aber Ängste, Entscheidungszweifel oder Bequemlichkeit lassen uns zurückschrecken. Da sind die Probleme anderer eine gute Ausrede, die auch vor uns selbst Bestand hat.

Natürlich gibt es auf solche Fragen keine einfachen Antworten. Das ist auch nicht ihr Sinn. Sie sind nur eine Einladung, etwas genauer hinzuschauen. Vielleicht fällt Ihre Hilfe dann ein kleines bisschen anders aus, und vielleicht auch vorteilhafter für Sie und die anderen.

Ich wünsche Ihnen befriedendes Puzzeln.

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