Denn wir wissen nicht, was wir tun.

von | Dez 18, 2019 | Arbeitskontext, Umgang mit anderen

Oft wissen wir nicht, was wir eigentlich beabsichtigen, wenn wir reden. Hinter dem Offensichtlichen können wir sehr unterschiedliches wollen: jemand anderen verletzen, liebkosen, beschwichtigen, trösten, abwerten, unterstützen, abwehren oder selbst im Mittelpunkt stehen, Macht demonstrieren, eigene Unsicherheit oder Peinlichkeit überspielen, Anerkennung provozieren usw. usw. Die Liste ist so endlos wie die unermessliche Vielfalt unseres sozialen Lebens. Eigentlich ist es ein Wunder, dass unser „bewusstloses“ Reden meistens problemlos funktioniert. Nur manchmal bereuen wir, was wir gesagt haben oder es wird uns bewusst, dass wir Chancen verpasst, kostbare Zeit mit Geplapper verplempert haben und weder der Sache noch uns oder anderen dienlich waren.

Dann wünschen wir uns, diese Einsichten früher gehabt zu haben, nämlich bevor die Worte unsere Lippen verlassen und gerne nehmen wir uns dann vor, in Zukunft weniger impulsiv, mutiger, konstruktiver, zielorientierter oder gelassener zu reagieren und zu reden. Solche Vorhaben funktionieren fast nie. Denn sie ähneln, dem Versuch, morgen Beethovens Pathétique spielen zu wollen und bisher noch nie am Klavier gesessen zu sein.

Achtsames Reden ist ein Mega-Projekt. Denn um achtsames Reden geht es, wenn wir den Spalt zwischen dem Redeimpuls (Reiz) und dem Sprechen (Reaktion), mit mehr Bewusstheit vergrößern und dadurch mehr „Redefreiheit“ gewinnen möchten. Es braucht viel Übung, wohlwollendes Interesse für sich sowie Geduld und Mitgefühl mit sich, um sich dem verbalen Autopiloten bewusster zu werden. Das Schöne ist, wir können jederzeit mit der Übung beginnen und schon Spaß an der ersten Etüde haben. Hier eine Anleitung für sie.

  • Nutzen Sie eine Gesprächssituation, in der Sie entspannt sind und nicht reagieren müssen. Eine gute Übungssituation ist ein lockeres Gespräch mit mehreren Personen, bei dem nichts für Sie auf dem Spiel steht oder eine für Sie nicht ganz so bedeutsame Besprechung. (Solche Besprechungen soll es ja geben.)
  • Achten Sie auf Ihre Impulse, etwas zu sagen, so gut es Ihnen in der jeweiligen Situation möglich ist. Machen Sie sich keinen Stress. Erlauben Sie sich, Redeimpulse auch nicht zu bemerken. Vielleicht machen Sie ein Spiel daraus, wann Ihnen wieder ein Redeimpuls bewusst wird.
  • Geben Sie dann dem Redeimpuls nicht nach. Halten Sie inne. Vielleicht helfen Ihnen ein, zwei absichtlich tiefe Atemzüge, um im Schweigen zu bleiben.
  • Statt zu reden, fragen Sie sich, was Sie eigentlich sagen möchten und was Sie damit beabsichtigen. Eine kleine Auswahl von Absichten finden Sie oben im Text. Gestehen Sie sich zu, keine oder auch sehr unklare Antworten zu finden.
  • Nehmen Sie die Antworten auf diese Frage so wertneutral wie möglich zur Kenntnis. Verurteilen oder kritisieren Sie sich nicht dafür, Redeimpulse zu haben, die Ihnen nicht gefallen. Lassen Sie den Redeimpuls so sein, wie er ist, auch wenn Sie meinen, dass er nicht zu Ihnen, Ihrem Image, Ihrer Rolle oder Ihren moralischen Ansprüchen passt. Wenn Sie z. B. den Impuls haben zu prahlen oder jemand anderen abzuwerten oder zu verletzen, dann ist das ok. Noch tun Sie es ja nicht. Übernehmen Sie Verantwortung für Ihre Rede, nicht für Ihre Redeimpulse.
  • Entscheiden Sie sich dann bewusst, ob und wie Sie sich in das Gespräch einschalten und was Sie sagen. Vielleicht hat sich durch die Einsicht in Ihre Redemotive, etwas verändert. Oder auch nicht. Lassen Sie sich überraschen.

Je häufiger Sie die Übung in harmlosen Gesprächssituationen wiederholen, desto mehr wird das verbale Innehalten im Hirn „gebahnt“ und kann in schwierigeren kommunikativen Situationen leichter „gefunden“ werden. Aber erwarten Sie nicht zu viel. Letztlich können wir uns nicht kontrollieren. Und das ist auch gut so.

Ich wünsche Ihnen erkenntnisreiche Sprachforschungen.

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