Unsere täglichen Talkshows

von | Nov 20, 2019 | Selbstreflexion, Umgang mit anderen

Kennen Sie diese Rededuelle, bei denen kaum jemand zuhört, sondern alle nur auf die Gelegenheit lauern, selbst etwas zu sagen? Gehörtes ist dann nur Aufhänger für eigene Geschichten. Gespräche sind dann Kämpfe um Redeanteile und Aufmerksamkeit, die gerne mit Übertreibungen gewonnen werden. Unsere Probleme sind dann genauso rekordverdächtig wie unsere Leistungen. Wir alle haben unsere Strategien zu beeindrucken. Paradoxerweise lauert überall die Einsamkeit, wenn alle reden und keiner wirklich zuhört.

Die Art, wie wir miteinander reden, offenbart unsere Sehnsucht, gesehen, verstanden, wertgeschätzt und „gefühlt“ zu werden. Unsern Wert möchten wir nicht nur leichtfertig bestätigt bekommen, sondern auch spüren. Vielleicht ist diese Sehnsucht heute deshalb so groß, weil wir unsern Wert als genauso instabil erleben, wie die Welt, in der wir leben?

Auf der „freien Wildbahn“ des Alltags ist Zuhören ein seltenes Geschenk geworden, das umso kostbarer ist, je weniger Höflichkeit, Eigennutz oder unausgesprochene Deals mit ihm verbunden werden, z. B. der Deal, jetzt höre ich Dir zu, aber dann bin ich dran.

Wenn Sie erleben möchten, welche wunderbare Kraft im Zuhören liegen kann, wie berufliche oder private Beziehungen sich verändern und intensivieren können, wie Sie Verbundenheit erleben und schaffen können, dann probieren Sie diese Achtsamkeitsübung aus.

  • Nutzen Sie ein zufälliges oder geplantes Gespräch mit jemand, um die Erfahrung zu machen, wie es ist, jemand anderem für eine Zeit lang die ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken, ohne eine andere Absicht zu verfolgen als zuzuhören.
  • Entwickeln sie Interesse für das Gehörte, so gut es ihnen im Moment möglich ist. Zeigen Sie ihr Interesse durch Fragen.
  • Achten Sie auf ihre Redeimpulse und folgen sie ihnen nicht. Bleiben Sie beim Fragen oder Schweigen und ziehen Sie nicht die Rede an sich. Manchmal ist es schwer, das Gehörte ohne Gegenrede „auszuhalten“. Vermeiden sie es trotzdem, so gut es ihnen möglich ist, zu unterbrechen, Eigenes zu erzählen, das Gehörte zu bewerten oder Ratschläge zu geben.
  • Achten Sie beim Zuhören nicht nur darauf, was ihr Gegenüber erzählt, sondern auch auf seine Gefühle und Stimmungen, die sich beim Erzählen zeigen. Erforschen sie Gesicht und Mimik des Gegenübers. Achten sie gleichzeitig auch auf ihre eigenen Gefühle, die durch das Gehörte ausgelöst werden, z. B. Freude, Mitgefühl, Resonanz, Widerstand, Langeweile, Ungeduld.
  • Respektieren Sie ihr „Zuhör-Budget“. Wir haben meistens nur begrenzte Ausdauer, uns auf jemand anderen einzulassen, ohne uns selbst ins Spiel zu bringen. Wenn Sie merken, dass ihr Budget aufgebraucht ist und sie nicht mehr zuhören möchten, beenden sie die Übung, indem sie zum Beispiel ihren Redeimpulsen nachgeben. Überfordern Sie sich nicht. Nur dann werden Sie die Übung wiederholen.
  • Machen Sie zum Abschluss der Übung oder am Ende des Gesprächs einen „Check“: Wie war es, sich voll und ganz auf jemand zu konzentrieren, ihm Aufmerksamkeit zu schenken ohne Deal, ohne eine Gegenleistung zu erwarten oder etwas erreichen zu wollen. Wie ist das Gespräch verlaufen? War etwas anders als sonst? Wie hat Ihr Gegenüber reagiert?

Ich wünsche ihnen eine erkenntnisreiche „Gehörbildung“.

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