Es gibt wenig Ängste, die so verbreitet sind, wie die Angst, sich vor einem Publikum zu blamieren. Anlässe gibt es so viele, wie es Situationen gibt, in denen man vor Menschen steht und etwas sagen will, soll oder muss. Ein paar Worte auf einer Familienfeier können genauso angstschweißtreibend sein, wie die Unterrichtsstunde in einer schwierigen Schulklasse, eine Wortmeldung in einer fremden Gruppe, kritische Stimmen in einem Seminar oder der verlorene Faden in einer Vorlesung. Zukünftige Auftritte können lange Schatten vorauswerfen. Kleinigkeiten während eines Vortrags können panische Reaktionen und Denkblockaden hervorrufen. Die Verarbeitung von erlebten Blamagen, egal ob eingebildet oder real, können Wochen, Monate oder Jahre dauern und Hilfe benötigen.
Auf dem Spiel steht nämlich, von anderen als wertvoll anerkannt zu werden. Das klingt so banal und selbstverständlich. Aber wir machen uns meistens nicht klar, dass nur erlebte soziale Anerkennung das Gefühl entstehen lässt, dazugehören zu dürfen. Denn über Zugehörigkeit entscheiden nicht wir, sondern die anderen. Das gilt übrigens auch für Chefs, Profs oder Lehrer, die Angst und Schrecken verbreiten. Ohnmacht und Angst vor Ablehnung lassen sich dadurch zwar kaschieren, aber nicht beseitigen.
Die Verletzbarkeit durch die Zuhörerschaft schwankt, abhängig vom momentanen Selbstwertgefühl, guter oder schlechter „Bühnenerfahrung“, der Bedeutung des jeweiligen Anlasses usw. Aber niemand ist wirklich davor gefeit, sich blamiert zu fühlen. Und für niemand ist das lustig. Das lässt sich auch nicht „wegatmen“. Aber Achtsamkeit kann dabei helfen, dass sich blamieren ein bisschen weniger schlimm ist oder dass wir es nicht noch schlimmer machen. Hier ein Miniprogramm aus dem Selbstmitgefühlstraining (MSC) für einen achtsamen Umgang mit gefühlten kleinen und großen Blamagen. In einer schwierigen Situation hilft das Programm aber nur, wenn es einstudiert ist. Dafür eignen sich alle unangenehmen Situationen.
- Der 1. Schritt: Gestehen Sie sich Ihre Gefühle zu. Anerkennen Sie sie. Je mehr Sie sich gegen schwierige Gefühle wehren, z. B. gegen das Gefühl, Ihr Gesicht zu verlieren, desto mehr Energie bekommen sie und werden schlimmer. Gegen das Fühlen von Unangenehmem zu kämpfen, ist wie mit einem Blasebalg loderndes Feuer zu löschen. Das geht nach hinten los. Leider hält uns das oft nicht davon ab zu blasen. Wir sind halt so gestrickt. Dagegen hilft nur geduldiges Training.
- Der 2. Schritt: Reihen Sie sich ein in den riesigen Kreis der Blamierten. Sie können sicher sein, dass es allen schon mal so gegangen ist wie Ihnen, auch wenn kaum jemand darüber redet. Die Angst, erneut beschämt werden zu können, lässt uns verstummen. Aber die Wahrheit ist, es gab, gibt und wird immer Situationen geben, in denen sich Menschen schämen. Das ist zutiefst menschlich. Sie können sicher sein, dass vor Ihnen eine Menge Leidensgenossen sitzen. Manchmal reicht das schon, um die Stressreaktion zu dämpfen und handlungsfähiger zu werden.
- Der 3. Schritt: Was könnte Ihnen jetzt im Moment guttun? In diesem Schritt geht es um Selbstfürsorge und die Frage, wie Sie ad hoc Ihre Wunde versorgen können. Das ist natürlich sehr unterschiedlich, je nach Person und Situation. Das können ein paar tiefe Atemzüge sein, das bewusste Fühlen des Bodens unter den Füßen, Gedanken an Menschen, die Ihnen wohlgesonnen sind, der Griff zum Wasserglas oder auch ein Wort oder eine Andeutung, was bei Ihnen gerade los ist. Hilfreich ist auf jeden Fall, wenn Sie, vielleicht aus anderen Situationen, schon eine Idee entwickelt haben, was bei Ihnen als „Erste-Hilfe-Pflaster“ funktioniert.
Ich wünsche Ihnen möglichst wenig Übungsanlässe.
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