Neugier und Anfängergeist

von | Mai 25, 2023 | Meditation, Umgang mit Angenehmem

Milliarden von Prozessen in und um uns herum verändern uns und die Welt in jedem Moment. Manchmal nehmen wir die Veränderungen wahr, meistens aber nicht. Unsere inneren „Algorithmen“, gewissermaßen das Fazit aus vergangenen Erfahrungen, reduzieren die wahrgenommenen Veränderungen auf ein Minimum. So bewahren sie uns davor, dass ein Informations-Overload Sinne und Hirn überfordert, was uns sehr langsam, unsicher und sogar handlungsunfähig machen könnte.

Die Algorithmen haben natürlich auch eine Schattenseite: wir sehen die gegenwärtige Realität nie so, wie sie in wirklich ist, in all ihrer Vielfalt und Komplexität. Das klingt abstrakt, solange wir die Einsicht nicht wirklich ernst nehmen. Denn dann müssten wir zugestehen, dass unsere Sicht der Dinge, unsere Meinungen, Überzeugungen, Erwartungen oder Befürchtungen – alles nur andere Namen für vereinfachende Automatismen – irgendwie immer unzutreffend sind, egal ob es sich um uns, unsere Partner, Kinder, Kollegen, Vermögensverhältnisse, Gesundheit oder den Klimawandel handelt.

Dieser Nachteil birgt andererseits eine große Chance, nämlich die Einsicht, dass die Gegenwart immer viel größer, vielfältiger, reicher und vor allem auch anders ist als unsere schablonenhafte Sicht von ihr. Wir selbst, jedes Ding und jeder Mensch um uns herum, bieten deshalb ein unerschöpfliches Reservoir an Neuem, Unerwartetem, Überraschendem, Irritierendem, Schönem und Funktionierendem, was wir bisher noch gar nicht wahrgenommen haben. Dieser unentdeckte Schatz der Gegenwart ist die wichtigste, vielleicht sogar die einzige Quelle für Innovationen und eine andere Sicht, die wir heute so dringend brauchen. Es lohnt sich also, unsere Wahrnehmung nicht nur von Algorithmen lenken zu lassen, sondern auch von Neugier und Anfängergeist. Ein ideales Übungsfeld dafür ist die Natur. Dort ist das Training des Anfängergeists meistens erholsam und erfreulich.

  • Nehmen Sie sich Zeit für ein Schlendern in der Natur, im Wald, einer Wiese, einem Park, am besten alleine oder mit Gesinnungsgenossen, die Schweigen aushalten. Es schadet nichts, wenn Sie das Terrain schon gut kennen. Umso überraschender ist es, Neues, bisher Übersehenes, Überhörtes zu entdecken.
  • Schlendern Sie dann, so wie Sie vielleicht durch eine fremde Stadt bummeln würden, von Baum zu Baum, von Strauch zu Strauch, von Stein zu Stein, nur mit der Absicht, sich treiben zu lassen und Ihrem Interesse und Ihrer Neugier zu folgen. Nehmen Sie sich Zeit, stehen zu bleiben und sich von den Auslagen und den Events der Natur anziehen zu lassen. Schauen Sie nach oben und unten, entdecken Sie Farben, Formen und Bewegungen. Hören Sie Nahes und Entferntes. Riechen Sie. Fassen Sie an: Baum, Blatt, Stein, Wasser. Spüren Sie Wind, Sonne, Kälte. Orientieren Sie sich an den Profis des Anfängergeistes: kleinen Kindern.
  • Bemerken Sie auch Ihre emotionalen Reaktionen auf das, was Sie wahrnehmen. Wenn wir uns mit offenen Sinnen auf die Natur einlassen, löst sie Schwingungen und Resonanz in uns aus, z.B. Freude, Wohlbefinden, Dankbarkeit, Entspannung.
  • Lassen Sie sich von großen Ansprüchen oder Erwartungen, beim Schlendern etwas ganz Besonderes zu entdecken oder von aufsässigen Sorgen nicht kirre machen. Diese mentalen Störfeuer zu bemerken, ist der erste Schritt, der zweite, sich so entschlossen wie möglich, von ihnen ab- und der Natur wieder zuzuwenden.

Ich wünsche Ihnen erquickliche Bildungsreisen in die Natur.

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